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Akutes Leberversagen (ALF)

Definition

Ein akutes Leberversagen (acute liver failure, ALF) ist auf eine akute Leberbeschädigung zurückzuführen und wird wie folgt definiert:

  • Zwei- bis dreifache Erhöhung der Transaminasen als Ausdruck einer akuten Leberbeschädigung
  • Verminderte Leberfunktion (Koagulopathie [INR >1.5], Gelbsucht [Ikterus], hepatische Enzephalopathie)
  • Kein Vorliegen einer chronischen Lebererkrankung 1,2.

Anhand des Zeitraumes zwischen dem Auftreten des Ikterus und der hepatischen Enzephalopathie wird zwischen hyperakutem (≤7 Tage), akutem (8-28 Tage) und subakutem (5-12 Wochen) Leberversagen unterschieden 2. Die Inzidenz der ALF ist mit einem Fall pro 100'000 bis 1'000'000 Einwohner:innen gering 3,4. Grundsätzlich wird zwischen einem Paracetamol-verursachten ALF und ALF anderer Ursachen (z.B. hepatotoxische Medikamente, Infektionen und autoimmune Erkrankungen) unterschieden 2. Dies ist auch deshalb wichtig, weil sich die Kriterien zur Evaluation einer notfallmässigen Lebertransplantation zwischen diesen beiden Gruppen unterschieden 1. In schweren Fällen ist eine Lebertransplantation oft die einzige lebensrettende Therapie.

Auswirkung auf den Ernährungszustand

Patient:innen mit ALF weisen meist schwere Störungen des Kohlenhydrat-, Protein- und Lipidmetabolismus auf. Eine Hypoglykämie tritt häufig aufgrund einer Erschöpfung der hepatischen Glykogenspeicher, einer gestörten hepatischen Glukoneogenese und einer Hyperinsulinämie auf 5. Ein erhöhter Proteinkatabolismus resultiert in einem 3- bis 4-fachen Anstieg der Aminosäuren im Plasma und Hyperammonämie 6. Der Ruheenergieaufwand ist bei diesen Patient:innen im Vergleich zum Normalzustand um das 1.2 und 1.3-fache erhöht und ist mit anderen kritisch kranken Patient:innen vergleichbar. Daher sollte der genaue Energiebedarf, wann immer möglich, durch indirekte Kalorimetrie gemessen werden 7. Hyponatriämie tritt besonders häufig bei hyperakutem Leberversagen auf und wird unter anderem mit erhöhter Morbidität und Mortalität sowie schwerem Aszites und erhöhtem intrakraniellem Druck assoziiert 2,8,9. Die Entstehung der ALF ist multifaktoriell und kann eine erhöhte Ausschüttung von antidiuretischem Hormon beinhalten, was zu einer übermässigen Wasserrückresorption in den Nieren führt 10.

Nährstoffbedarf von Patient:innen mit akutem Leberversagen. Anpassungen nötig für mangelernährte Patien:innten, körperliche Aktivität und Alter der Patient:innen. Als Gewicht gilt das Adjusted Body Weight (ADJ) ab BMI 28, ansonsten das Körpergewicht vor Spitaleintritt.
KG = Körpergewicht; d = Tag

Nährstoff Täglicher Bedarf (pro kg KG)
Protein 0.8 1.2

g/kg KG/d 7

Energie -

Sollte individuell bestimmt werden 11

Flüssigkeit -

Gemäss ärztl. Verordnung

Bitte füllen Sie das Gewicht aus

Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente

  • Abdeckung Tagesbedarf

Ziel der Ernährungstherapie

  • Aufrechterhalten/Verbesserung des Ernährungszustandes und der Körperfunktion
  • Vermeidung von Mangelernährung/Nährstoffdefiziten durch Verabreichung von Glukose, Lipiden und Spurenelementen
  • Verminderung der Azidose
  • Vermeidung von metabolischen Komplikationen: Sicherstellung von Euglykämie und optimaler Proteinsyntheserate, Vermeidung von Hyperammonämie und Hypertriglyceridämie

Der Energie- und Proteinbedarf sollte, wenn immer möglich, mit oraler Ernährung gedeckt werden. Falls mit Anreicherung, Zwischenmahlzeiten oder Trinknahrungen weniger als 75% des Bedarfs gedeckt werden, sollte spätestens nach 5 Tagen auf enterale Ernährung als Ergänzung eskaliert werden. Eine komplementäre parenterale Ernährung ist indiziert, wenn weniger als 75% des Bedarfes durch enterale plus/minus orale Ernährung gedeckt wird. Details siehe Kapitel enterale und parenterale Ernährung.

Allgemeine Ernährungsempfehlungen

Da der Bedarf im Verlauf der Krankheit stark variiert, sollte der Energiebedarf nach Möglichkeit durch indirekte Kalorimetrie bestimmt werden. Der Nährstoffbedarf ist mit dem anderer kritisch Kranken vergleichbar.

Zur Prävention oder Behandlung einer Hypoglykämie sollten 2-3 g Glukose/kg Körpergewicht pro Tag intravenös verabreicht werden 7. Eine optimale Proteinsyntheserate kann durch eine ausreichende Zufuhr von Proteinen oder Aminosäuren erzielt werden 7. Bei hyperakuten Patient:innen mit Enzephalopathie und dem Risiko eines Zerebralödem kann die Proteinverabreichung 24-48 Stunden verzögert werden, um vorgängig die Hyperammonämie zu kontrolliert 11.

Orale Ernährung

Bei milder Enzephalopathie kann die Nahrung oral verabreicht werden, sofern keine Kontraindikation wie fehlender Husten- oder Schluckreflex vorliegt 7. Bei fortgeschrittener Enzephalopathie sollte die Ernährungstherapie individuell durch das behandelnde Ärzteteam und die Ernährungsberatung definiert werden.

Enterale und parenterale Ernährung

Die enterale und parenterale Ernährung sollte mit einer niedrigen Rate gestartet und kontinuierlich gesteigert werden, um die gastrointestinale Toleranz zu verbessern und metabolischen Komplikationen zu vermeiden. Die enterale Ernährung erfolgt in der Regel über eine nasogastrale oder nasojejunale Sonde 11. Bei progredienter Enzephalopathie sollte die nasogastrale Ernährung vermieden werden 2. Die Verwendung von Standardlösungen für die enterale und parenterale Ernährung wird empfohlen, da bisher keine Studie eine erhöhte Wirksamkeit von Spezialprodukten (z.B. BCAA-reiche parenterale Nährlösungen) gezeigt hat 11. Physikalische Mischungen aus LCT und MCT werden häufig als Lipide in Nährlösungen verwendet 2.

Monitoring

  • Überwachung der Ammoniakkonzentration im Blut während der Ernährungstherapie sowie bei Patient:innen in einem hyperakuten Zustand mit Enzephalopathie 11.
  • Korrektur einer allfälligen Azidose medikamentös oder falls erforderlich durch eine Nierenersatztherapie; Azidose kann durch Erhöhung des Laktats im Blut oder durch verringerte Ausscheidung von Säuren bedingt sein 2.
  1. Lee, W.M., R.T. Stravitz, and A.M. Larson, Introduction to the revised American Association for the Study of Liver Diseases Position Paper on acute liver failure 2011. Hepatology, 2012. 55(3): p. 965-7.
  2. Wendon, J., et al., EASL Clinical Practical Guidelines on the management of acute (fulminant) liver failure. J Hepatol, 2017. 66(5): p. 1047-1081.
  3. Weiler, N., et al., The Epidemiology of Acute Liver Failure. Dtsch Arztebl Int, 2020. 117(4): p. 43-50.
  4. Stravitz, R.T. and W.M. Lee, Acute liver failure. Lancet, 2019. 394(10201): p. 869-881.
  5. Vilstrup, H., J. Iversen, and N. Tygstrup, Glucoregulation in acute liver failure. Eur J Clin Invest, 1986. 16(3): p. 193-7.
  6. Clemmesen, J.O., J. Kondrup, and P. Ott, Splanchnic and leg exchange of amino acids and ammonia in acute liver failure. Gastroenterology, 2000. 118(6): p. 1131-9.
  7. Plauth, M., et al., S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) in Zusammenarbeit mit der GESKES, der AKE und der DGVS. Klinische Ernährung in der Gastroenterologie (Teil 1) – Leber. Aktuelle Ernährungsmedizin, 2014. 39(01): p. e1-e42.
  8. Murthy, K.A., et al., A study of viral hepatitis e infection in a tertiary care hospital in mysore, South India. Open Forum Infect Dis, 2014. 1(1): p. ofu036.
  9. Schneeweiss, B., et al., Energy metabolism in acute and chronic renal failure. Am J Clin Nutr, 1990. 52(4): p. 596-601.
  10. Liamis, G., et al., Hyponatremia in patients with liver diseases: not just a cirrhosis-induced hemodynamic compromise. Hepatol Int, 2016. 10(5): p. 762-72.
  11. Plauth, M., et al., ESPEN guideline on clinical nutrition in liver disease. Clin Nutr, 2019. 38(2): p. 485-521.

Information NutriGo

Anwendungsorientierte praktische Empfehlungen für die Ernährungstherapie in verschiedenen klinischen Situationen basierend auf aktuellen Richtlinien

Die Behandlung einer Mangelernährung ist ein zentraler Bestandteil in der intial- und fortführenden Therapie von Spitalpatientinnen und -patienten, um die Körperfunktion und Lebensqualität zu erhalten/verbessern und das Komplikationsrisiko bis zur Mortalität zu reduzieren. Die Therapie sollte der zugrundeliegenden Krankheit angepasst werden. NutriGo fasst die Behandlungsstrategien für verschiedene klinische Situationen zusammen und gibt praktische Hinweise zur Umsetzung.

Die Empfehlungen basieren auf den anerkannten aktuellen Richtlinien der jeweiligen klinischen Situation. Durch Eingabe des Körpergewichtes der Patientinnen und Patienten kann der Mikro- und Makronährstoffbedarf anhand einer einfachen Multiplikation berechnet werden, falls der Bedarf in den entsprechenden Richtlinien präzisiert ist. Zusätzliche Anpassungen sind erforderlich für Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten BMI (>28 kg/m2), Aszites, Untergewicht, erhöhtem Alter und gesteigerter/reduzierter körperlicher Aktivität.

Abkürzungsverzeichnis

BMI  Body Mass Index