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Akute Nierenschädigung oder chronische Niereninsuffizienz mit akuter Erkrankung

Definition

Die akute Nierenschädigung (acute kidney injury/impairment, AKI) ist definiert als schnelle Abnahme der Nierenfunktion mit einer Dauer von wenigen Stunden bis zu mehreren Wochen. In der Regel wird AKI nachgewiesen durch:

  • Erhöhung des Serum-Kreatinin >26.5 µmol/L (=0.3 mg/dL) innerhalb 48 Stunden
  • 1.5-fache Erhöhung des Serum-Kreatinin-Normalwertes innerhalb von 7 Tagen
  • Urinvolumen <0.5 ml/kg/h während 6 Stunden

Reversiblen Veränderungen bis hin zum Verlust der Nierenfunktion und Notwendigkeit eines Nierenersatzverfahrens zählen zur AKI 1.
Einschätzung des Schweregrades (Stadium) der akuten Nierenschädigung nach KDIGO Leitline (Kidney Disease Improving Guidelines)1 empfohlen.

Auswirkungen auf den Ernährungszustand

Der Nährstoffbedarf ist vergleichbar mit dem Bedarf von anderen kritisch Kranken. Zusätzliche Anpassung an die spezifischen Konsequenzen der Niereninsuffizienz und der Methode und Intensität der Nierenersatztherapie sind nötig 2, 3.

Nährstoffbedarf von Patient:innen mit einem akuten Nierenversagen oder chronischer Niereninsuffizienz in katabolen Zustand. Anpassungen nötig für Mangelernährte Patient:innen, körperliche Aktivität und Alter des Patient:innen. Als Gewicht gilt das Adjusted Body Weight (ADJ) ab BMI 28.
KG = Körpergewicht; d = Tag

Nährstoff Täglicher Bedarf (pro kg KG)
Protein Konservative Behandlung 0.6 1.2

g/d 4, 5

  Nierenersatztherapie 1.2 1.5

g/d 4, 5

  Hyperkatabolismus 1.7

g/d 4, 5

Energie 20 25

kcal/d 4, 5

Flüssigkeit Gemäss

ärztl. Verordnung 4, 5

Bitte füllen Sie das Gewicht aus

  • Kohlenhydrate: 2 - 3 (maximal 4) g/kg KG/d
  • Lipide: 0.8 - 1.2 (maximal 1.7) g/kg KG/d
    4, 5

Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente

  • Wasserlösliche Vitamine: 2 x recommended daily allowance (RDA) pro Tag (Vitamin C < 250 mg pro Tag)
  • Fettlösliche Vitamine: 1 x RDA pro Tag
  • Spurenelemente: 1 x RDA pro Tag, Selen und Zink oft tief
  • Elektrolyte: Täglich anpassen aufgrund starken Variation während des Krankheitsverlauf
    5

Ziele der Ernährungstherapie

  • Aufrechterhalten oder Verbesserung des Ernährungszustandes
  • Vermeidung von Mangelernährung oder von Nährstoffdefiziten
  • Suppression Hyper-/Hypoglykämie
  • Verhinderung einer Verschlechterung der Nierenfunktion: Erhaltung des Elektrolytgleichgewichtes, Vermeidung von Überhydrierung, sowie Verhinderung einer Mangelernährung.

Der Energie- und Proteinbedarf sollte, wenn immer möglich mit oraler Ernährung gedeckt werden. Falls mit Anreicherung, Zwischenmahlzeiten oder Trinknahrungen weniger als 75% des Bedarfs gedeckt werden, sollte spätestens nach 5 Tagen auf enterale Ernährung als Ergänzung eskaliert werden. Eine komplementäre parenterale Ernährung ist indiziert, wenn weniger als 75% des Bedarfes durch orale und/oder enterale Ernährung gedeckt wird. Das Ernährungsmanagement soll individuell und innerhalb des behandelnden Ärzteteams beurteilt und gewählt werden.

Allgemeine Ernährungsempfehlungen

Eine Restriktion der Proteinzufuhr sollte nur bei metabolisch stabilen Patient:innen ohne Nierenersatztherapie in Betracht gezogen werden 6.

In den ersten 48 Stunden nach Start des katabolen Zustandes soll lediglich eine hypokalorische Ernährung (≤70% des Energiebedarfs) angestrebt und bei spezifischen Komorbiditäten wie unkontrollierter Schock oder unkontrollierte lebensbedrohliche Hypoxämie sollte die Ernährungstherapie erst 48 Stunden verzögert angesetzt werden 7. Nach drei Tagen kann je nach Komplikationsrisiko für die orale Ernährung, akutem Krankheitszustand und Ernährungszustand die Energiezufuhr auf 80-100% des Energiebedarfs erhöht werden 6. Eine übermässige Zufuhr von Nährstoffen (>100% des Bedarfs) erhöht das Komplikationsrisiko und soll verhindert werden. Bei stark mangelernährten Patient:innen oder Patient:innen, welche eine Nüchternphase von mehr als 7 Tagen aufweisen, sollte die Nahrung nur langsam und schrittweise verabreicht werden (Refeeding Syndrom!).

Enterale Ernährung

Die Infusionsrate der enteralen Ernährung sollte lediglich mit 20% des Soll-/Endziels starten und langsam erhöht werden, um die gastrointestinale Toleranz zu verbessern und metabolischen Komplikationen vorzubeugen. Zusätzlich können Prokinetika die Verträglichkeit der Ernährungstherapie verbessern.

Für dialysepflichtigen Patient:innen sollte eine Sondenkost mit moderat erhöhtem Proteingehalt und reduzierter Elektrolytkonzentration gewählt werden, für Patient:innen ohne Dialyse ist eine protein- und elektrolytreduzierte Formulierung indiziert. 2, 5

Parenterale Ernährung

Parenteralen Ernährung soll bei tiefer Rate (20% der Endrate) starten und progressiv über einige Tage erhöht werden. Dies erlaubt eine enge Überwachung der Verwertung der verabreichten Nährstoffe und hilft metabolischen Komplikationen vorzubeugen.

Die Verwendung von kommerziell verfügbaren Nährlösungen (All-in-One) wird empfohlen. Bei Bedarf müssen wasser- und fettlösliche Vitamine, Spurenelemente und evtl. Elektrolyte beigefügt werden. Alternativ können Aminosäure-Lösungen, z.B. spezifische ‘Nephro’ Lösungen mit zusätzlichem Tyrosin und angepasstem Elektrolytmuster (P, K), um den metabolischen Veränderungen der Nierenerkrankung entgegenzuwirken und/oder moderne Lipidemulsionen verwendet werden. Die verabreichte Menge von Triglyzeriden muss an das Lipid Verwertungsvermögen des Patient:innen angepasst werden, da die Lipolyse bei Nierenversagen Patient:innen reduziert ist. Oft muss die täglich verabreichte Lipid Menge auf 1 g/kg Körpergewicht reduziert werden 5.

Monitoring

  • Überwachung der Lipid Clearance (mittels Triglyzeridkonzentration), sowie der Glukosekonzentration bei parenteral ernährten Patient:innen 5
    • Behandlung einer Hyperglykämie durch: exogene Nährstoffeinnahme, Reduktion der Glukosezufuhr auf max. 2 - 4 g/kg Körpergewicht, Verabreichung von Insulin 5. Strickte Aufrechterhaltung des Plasma Glukoselevel zwischen 6.1–8.3 mmol/l (110–149 mg/dl) 8.
    • Strenge Kontrolle der Lipidverabreichung (Lipid Clearance um bis zu 50% reduziert). Verabreichung von 1 g Lipiden pro kg Körpergewicht pro Tag erhöht den Triglyzeridgehalt im Serum meist nicht 5.
  • Bei Katabolie Substitution der Proteine (Proteinverlust von 1.3 und 1.8 g/kg KG/d) 5.
  • Verhinderung von toxischer Serum Vitamin A Konzentration durch strenge Überwachung 9.
  • Überwachung des Kalium- und Phosphatspiegel: Ernährungstherapie oder kontinuierliche Nierenersatztherapie mit niedrigdosierter Elektrolytlösung oder elektrolytfreie Lösung resultiert teilweise in einer Hypokaliämie und Hypophosphatämie (vergleichbar mit dem Refeeding Syndrom).

Produkte/Medikamente

  • Phosphatbinder: z.B. Calciumcarbonat, Calciumazetat, Alucol®, Phosphonorm®, Renagel®, Renvela®, Fosrenol®, Velphoro®, Der Einnahmezeitpunkt und Menge soll auf die Phosphatzufuhr einer Mahlzeit abgestimmt sein.
  • Kalium-Ionenaustauscher: z.B. Resonium®, Veltassa®, Sorbisterit®; Regelmässige Einnahme nach ärztlicher Verordnung ist wichtig, muss nicht direkt zu den Mahlzeiten eingenommen werden.
  • Vitamin D Analoga (ViDe-Tropfen, Rocaltrol®, Zemplar®)
  • Calimimetika: Cinacalcet (Mimpara®), Etelcalcetid (Parsabiv®)
  • Fettlösliche- und wasserlösliche Vitamine als Multivitaminpräparat
  1. Kellum, J.A. and N. Lameire, Diagnosis, evaluation, and management of acute kidney injury: a KDIGO summary (Part 1). Crit Care, 2013. 17(1): p. 204. 

    Einschätzung des Schweregrades (Stadium) der akuten Nierenschädigung nach KDIGO 

    Serum Kreatinin

    Urinausscheidung

    Stadium 1

    1.5 – 1.9 * Baseline oder

    ≥ 0.3 mg/dL (26.5 μmol) über Baseline

    < 0.5 ml/kg bw/h während 6-12 h

    Stadium 2

    2.0 – 2.9 * Baseline < 0.5 ml/kg bw/h während >12 h

    Stadium 3

    ≥ 3.0 * Baseline oder

    ≥ 4.0 mg/dL (354 μmol) über Baseline oder

    Start einer Nierenersatztherapie

    < 0.3 mL/kg bw/h während ≥ 24 h oder

    Anurie während ≥ 12 h

  2. Druml, W., Nutritional management of acute renal failure. J Ren Nutr, 2005. 15(1): p. 63-70.
  3. Fiaccadori, E., E. Cremaschi, and G. Regolisti, Nutritional assessment and delivery in renal replacement therapy patients. Semin Dial, 2011. 24(2): p. 169-75.
  4. Cano, N., et al., ESPEN Guidelines on Enteral Nutrition: Adult renal failure. Clin Nutr, 2006. 25(2): p. 295-310. (Link NutriBib)
  5. Sobotka, L., BASICS IN CLINICAL NUTRITION. 2020, [S.l.]: GALEN.
  6. Fiaccadori, E., et al., ESPEN guideline on clinical nutrition in hospitalized patients with acute or chronic kidney disease. Clin Nutr, 2021. 40(4): p. 1644-1668. (Link NutriBib)
  7. Singer, P., et al., ESPEN guideline on clinical nutrition in the intensive care unit. Clin Nutr, 2019. 38(1): p. 48-79. (Link NutriBib)
  8. Khwaja, A., KDIGO clinical practice guidelines for acute kidney injury. Nephron Clin Pract, 2012. 120(4): p. c179-84. (Link NutriBib)
  9. Cano, N.J., et al., ESPEN Guidelines on Parenteral Nutrition: adult renal failure. Clin Nutr, 2009. 28(4): p. 401-14. (Link NutriBib)

Information NutriGo

Anwendungsorientierte praktische Empfehlungen für die Ernährungstherapie in verschiedenen klinischen Situationen basierend auf aktuellen Richtlinien

Die Behandlung einer Mangelernährung ist ein zentraler Bestandteil in der intial- und fortführenden Therapie von Spitalpatientinnen und -patienten, um die Körperfunktion und Lebensqualität zu erhalten/verbessern und das Komplikationsrisiko bis zur Mortalität zu reduzieren. Die Therapie sollte der zugrundeliegenden Krankheit angepasst werden. NutriGo fasst die Behandlungsstrategien für verschiedene klinische Situationen zusammen und gibt praktische Hinweise zur Umsetzung.

Die Empfehlungen basieren auf den anerkannten aktuellen Richtlinien der jeweiligen klinischen Situation. Durch Eingabe des Körpergewichtes der Patientinnen und Patienten kann der Mikro- und Makronährstoffbedarf anhand einer einfachen Multiplikation berechnet werden, falls der Bedarf in den entsprechenden Richtlinien präzisiert ist. Zusätzliche Anpassungen sind erforderlich für Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten BMI (>28 kg/m2), Aszites, Untergewicht, erhöhtem Alter und gesteigerter/reduzierter körperlicher Aktivität.

Abkürzungsverzeichnis

BMI  Body Mass Index