Chronische Niereninsuffizienz ohne Nierenersatztherapie (KDIGO Stadium 3-5)
Definition
Chronische Niereninsuffizienz (chronic kidney disease, CKD) ist definiert als das Vorliegen einer Nierenschädigung (in der Regel nachgewiesen durch eine Albuminausscheidung im Urin von ≥30 mg/Tag oder Äquivalent, z.B. Cystatin C oder Beta-2-Mikroglobulin) oder einer verminderten Nierenfunktion (geschätzte glomeruläre Filtrationsrate [estimated glomerular filtration rate, eGFR] <60 ml/min/1.73 m2) über drei oder mehr Monate, unabhängig von der Ursache 1. CKD ist mit einem höheren Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infektionen, malignen Erkrankungen und höherem Mortalitätsrate assoziiert.
Einschätzung des Schweregrades (Stadium) der akuten Nierenschädigung nach KDIGO Leitline (Kidney Disease Improving Guidelines)1.
Auswirkungen auf den Ernährungszustand
Bei Patient:innen mit CKD besteht ein hohes Risiko für eine Mangelernährung aufgrund des verminderten Appetits und der reduzierten Nahrungszufuhr sowie der gastrointestinalen urämischen Nebenwirkungen, welche durch urämie-assoziierte Faktoren (Nausea, Erbrechen), chronische Entzündungen, metabolische Azidose, Hypermetabolismus, hormonelle Veränderungen und potentiellen Begleiterkrankungen verstärkt werden. Eine Studie aus den Vereinigten Staaten zeigt, dass bei älteren Menschen (≥60 Jahren) eine Abnahme der eGFR <30 ml/min/1.73 m2 mit Mangelernährung assoziiert ist (Odds Ratio [OR] 3.6) auch unabhängig vom restlichen Gesundheitszustand 2.
Nährstoffbedarf von Patient:innen mit chronischer Niereninsuffizienz. Anpassungen nötig für mangelernährte Patient:innen, körperliche Aktivität und Alter des Patient:innen. Als Gewicht gilt das Adjusted Body Weight (ADJ) ab BMI 28, ansonsten das Körpergewicht vor Spitaleintritt.
KG = Körpergewicht; d = Tag
Bitte füllen Sie das Gewicht aus
Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente
- Phosphat**
- Kalium***
- Natrium*
*Das Gleichgewicht von Natrium und intravaskulärem Volumen wird in der Regel durch homöostatische Mechanismen aufrechterhalten, bis die eGFR unter 10 bis 15 mL/min/1.73 m2 fällt. Patient:innen mit leichter bis mittelschwerer CKD sind jedoch trotz eines relativen Volumengleichgewichts weniger in der Lage, auf eine hohe Natriumzufuhr zu reagieren, und neigen daher zu einer Flüssigkeitsüberladung. Die Natriumzufuhr sollte somit auf maximal 2.5 g/Tag (6.4 g NaCl) beschränkt werden, es sei denn, es besteht eine Kontraindikation wie z.B. Natriumverlustniere.
**Überschüssiges Phosphat wird zur Erhaltung einer Nüchtern-Serumkonzentration von unter 1.5 mmol/L (4.6 mg/dL) über den Urin ausgeschieden bei normaler Nierenfunktion 6. Fällt die eGFR unter 40 ml/min/1.73 m2, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Hyperphosphatämie und kann eine Kaskade von negativen Auswirkungen auslösen 4. Häufige Komplikationen sind Störungen des Mineral- und Knochenhaushalts und somit Erhöhung der Verkalkung der Gefässe, Osteoporose oder Arteriosklerose 7 und Anstieg der Niereninsuffizienzprogressions- und Mortalitätsrate 8. Eine Restriktion der oralen Einnahme von Phosphor auf 600 – 1000 mg (19 – 32 mmol) pro Tag oder Reduktion der Absorptionsrate durch Phosphatbinder ist in der Regel indiziert bei Nüchtern-Serumwerten ≥ 1.5 mmol/L 4.
***Bei normaler Nierenfunktion werden ca. 90% des täglich konsumierten Kalium über den Urin ausgeschieden. Die Wahrscheinlichkeit einer Hyperkaliämie erhöht sich bei abnehmender Nierenfunktion und birgt vor allem bei einer eGFR unter 15 ml/min/1.73 m2 ein erhöhtes Risiko für Bluthochdruck, ventrikuläre Arrhythmien und einen plötzlichen Tod 9. Zur Behandlung sollten Hyperkaliämie induzierende Medikamente, sowie kaliumreiche Nahrungsmittel gemieden werden.
Ziele der Ernährungstherapie
- Aufrechterhaltung/Verbesserung Ernährungszustand und Körperfunktion
- Vermeidung Mangelernährung/Nährstoffdefiziten
- Verminderung der Azidose
- Vermeidung von Osteopenie, Osteoporose und Arteriosklerose
- Verzögerung des Nierenfunktionsverlustes
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Um mangelernährte Patient:innen frühzeitig zu erkennen, sollte ein Nutritional Risk Screening mindestens zwei Mal im Jahr durchgeführt werden.
Der Energie- und Proteinbedarf sollte, wenn immer möglich mit oraler Ernährung gedeckt werden. Falls mit Anreicherung, Zwischenmahlzeiten oder Trinknahrungen weniger als 75% des Bedarfs gedeckt werden, sollte spätestens nach 5 Tagen auf enterale Ernährung als Ergänzung eskaliert werden. Eine komplementäre parenterale Ernährung ist indiziert, wenn weniger als 75% des Bedarfes durch orale und/oder enterale Ernährung gedeckt wird.
Orale Ernährung
Eine moderate Proteinrestriktion von 0.6-0.8 g/kg Körpergewicht pro Tag ist empfohlen bei stabilen Patient:innen ohne Mangelernährung. Bei Diabetes Patient:innen sollte für eine bessere glykämische Kontrolle mindestens 0.8-0.9 g Protein pro kg Köpergewicht verabreicht werden 4. Das Ausmass der Phosphor- und Kaliumrestriktion sollte individuell basierend auf den Serumwerten und in Rücksprache mit der behandelnden ärtzlichen Fachperson angepasst werden oder medikamentös begleitet werden (z.B. Phosphat- und Kaliumbinder). Die allgemeine Säurezufuhr ist zu reduzieren, beispielsweise durch nahrungsfaserreiche Lebensmittel (z.B. Früchte, Gemüse, Vollkornprodukte), welche die Bildung urämischer Toxine reduzieren und den Entzündungsstatus beeinflussen 10.
Für CKD spezifische orale Trinknahrungen enthalten oft eine reduzierte Menge an Proteinen, Kalium und Phosphor 5.
Eine Reduktion der Proteinzufuhr auf unter 0.6 g/kg Köpergewicht ist in der Schweiz nicht verbreitet und erfordert eine engmaschige Überwachung des Ernährungsstatus und Supplementierung von Aminosäuren 4.
Praktische Hinweise für Restriktion, falls indiziert
Zu Beginn der Erkrankung nur leichte Restriktionen um Einhaltung über längere Zeit zu gewährleisten.
- Protein: Zu jeder Hauptmahlzeit eine Proteinbeilage, tierische und pflanzliche Proteinlieferanten einbeziehen, die Proteinzufuhr dem Bedarf anpassen (beachten der Portionsgrösse respektive proteinreiche Nahrungsmittel durch proteinärmere ersetzen und auf ein gutes Protein- / Phosphorverhältnis achten) (maximal 3 Portionen Milchprodukte und 1 Portion Fleisch/Fisch/Eier/Hülsenfrüchte/Tofu pro Tag)
- Phosphat: Vermeidung von Lebensmitteln mit künstlichen Phosphatzusätzen und hohem Phosphatgehalt (insbesondere keine (Fertig-) Produkte mit folgenden Phosphatzusätzen [E 338, E 339, E 340, E 341, E 343, E 442, E 450, E 451, E 452, E 541, E 1410, E 1413, E 1414, E 1442]) Beachte: Bio-Fleischwaren enthalten keine phosphathaltigen Zusätze, vergl. Liste (Verweis) 11
- Kalium: Reduktion von kaliumreichen Lebensmitteln zugunsten von kaliumärmeren Alternativen (u.a. maximal dreimal pro Woche je 120 g Kartoffeln; Lebensmittel mit hohem Vollkornanteil wie Vollkornteigwaren, -brot, -reis durch Weissmehlprodukte und weissen Reis ersetzen, Dörrprodukte [Obst, Bohnen, Pilze] meiden), zudem die Zubereitungsart, Verzehrmenge und –häufigkeit beachten
- Kochsalz: Moderate Verwendung von Kochsalz bei der Zubereitung, kein Nachsalzen am Tisch. Vermehrt Kräuter/Knoblauch/Zwiebeln zum Würzen verwenden. Beachte: auch Gewürzmischungen/Bouillon/Flüssigwürze/Sojasauce/Fertigsaucen haben einen hohen Kochsalzgehalt. Zubereitungsart beachten (Dämpfen/Dünsten anstelle von Kochen im Salzwasser), kochsalzreiche Lebensmittel wie Fertigprodukte, konservierte Lebensmittel, salzige Snacks und Charcuterie mit Mass konsumieren. CAVE: Diät- und einige Kräutersalze enthalten Kaliumchlorid statt Natriumchlorid. Diese sind für Patient:innen mit hohem Blutdruck, nicht aber für solche mit Niereninsuffizienz geeignet. (Ernährungsschema Salz PDF)
- Säurezufuhr reduzieren (moderater Konsum von tierischen Produkten, pflanzliche Proteinlieferanten bevorzugen, nahrungsfaserreiche Lebensmittel wie Früchte, Gemüse, Vollkornprodukte einbauen [CAVE Kalium]).
Enterale und parenterale Ernährung
Eine Enterale und/oder parenterale Ernährung wird normalerweise nur für Patient:innen mit einer zusätzlichen akuten Erkrankung mit erhöhtem Nährstoffbedarf benötigt, welcher nicht durch die orale resp. enteralen Zufuhr gedeckt werden kann 12.
Monitoring
- Monitoring der Serumkonzentrationen von Proteinen, Glucose, Phosphat, Kalium, Natrium, Parathormon, Bicarbonat und Vitamin D3.
- Vermeidung einer Mangelernährung aufgrund Proteinrestriktion.
- Senkung einer Hyperglykämie (durch periphere Insulinresistenz und hepatische Glukoneogenese) mittels Nahrungsaufnahme möglich 13.
- Schätzung der Kochsalzaufnahme (Natrium im 24 h Urin in mmol/17.1 mmol = Kochsalzaufnahme in g [50 mmol Na+~ 3 g, 100 mmol ~ 6 g, 150 mmol ~ 9 g NaCl]; Annahme: Patient:in im Steady-State, gesamtes Natrium im Urin stammt aus Kochsalz) da Ernährungsanamnese oft sehr ungenau.
- Verhinderung von Wasserstoffprotonen (H+) Retention und daraus resultierender metabolischen Azidose. Bikarbonatsubstituierung (HCO3-) bei anormaler Konzentration (<22 mEq/L) im Serum.
- Substitution Calcitriol (1,25-OH-Vitamin D) bei Patient:innen mit einer CKD im Stadium 4 und 5 (KDIGO) häufig nötig (Calcitriolsynthese vor allem in der Niere, erniedrigtes zirkulierendes Calcitriol bei eGFR <40 ml/min/1.73 m2).
- Falls eine Anämie besteht: Ausschluss und Behandlung eines Eisenmangels. Bei Fortbestehen Verabreichung von Erythropoese-stimulierende Mittel (ESA; Anämie bei meisten CKD Patient:innen normozytär und normochrom, beruht in erster Linie auf einer verminderter Produktion von Erythropoetin durch Niere und auf verkürzter Überlebenszeit der roten Blutkörperchen, häufiger bei eGFR <60 mL/min/1.73 m2) 14.
- Evaluierung der ernährungstherapeutischen Massnahmen dreimal im ersten Jahr nach Start der Ernährungstherapie, danach in jährlichen Intervallen.
Konsequenz |
Symptome |
Monitoring |
Urämie |
Anorexie |
Orale Aufnahme Mangelernährungsscreenings, Harnstoff/Stickstoff |
Metabolische Azidose |
Erhöhter Proteinkatabolismus, Muskelabbau |
Bikarbonat, Serum pH Wert |
Hyperkaliämie |
Erhöhte Muskelkontraktion, Muskelschwäche bis Paralyse, Arrhythmien, Herz-/ Atemversagen |
Kalium, Serum pH Wert, Insulinmangel, Kalium-beeinflussende Medikamente, Orale Aufnahme |
Hypervolämie |
Ödeme/Aszites, |
Gewichtsverlauf, Flüssigkeitsbilanzierung |
Anämie |
Reduzierter Sauerstofftransport, |
Hämoglobin, Hämatokrit, Eisenstatus |
Hyperphosphatämie |
Verminderte 1-α-Hydroxylierung, |
Phosphat, Parathormon, Kalzium |
Adaptiert von 15
Medikamente/Supplemente
- Phosphatbinder: z.B. Calciumcarbonat, Calciumazetat, Alucol®, Phosphonorm®, Renagel®, Renvela®, Fosrenol®, Velphoro®. Einnahmezeitpunkt und Dosis sollen auf die Phosphatzufuhr einer Mahlzeit abgestimmt sein.
- Kalium-Ionenaustauscher: z.B. Resonium®, Veltassa® (Erstverschreibung darf nur durch Kardiologen oder Nephrologen erfolgen). Regelmässige Einnahme nach ärztlicher Verordnung ist wichtig, muss nicht direkt zu den Mahlzeiten eingenommen werden.
- Vitamin D Analoga (ViDe-Tropfen, Rocaltrol®, Zemplar®)
- Calimimetika: Cinacalcet (Mimpara®), Etelcalcetid (Parsabiv®)
- Andere Vitaminpräparate: Dialvit®
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Einschätzung des Schweregrad (Stadium) der chronischen Nierenerkrankung
Definition
GFR [mL/min/1.73 m2]
Stadium 3a
Leichte bis moderate Abnahme der GFR 45 - 59 Stadium 3b
Moderate bis starke Abnahme der GFR 30 - 44 Stadium 4
Starke Abnahme der GFR 15 - 29 Stadium 5
Nierenerkrankung im Endstadium <15 - Garg, A.X., et al., Association between renal insufficiency and malnutrition in older adults: results from the NHANES III. Kidney Int, 2001. 60(5): p. 1867-74.
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Autorenschaft:
Valentina Huwiler, PhD, Ernährungswissenschaftlerin, Inselspital Bern
Cecilia Czerlau, MD, Nephrologin, Inselspital Bern
Dominik Uehlinger, MD, Nephrologe, Inselspital Bern