Akute Pankreatitis
Definition
Bei einer akuten Pankreatitis werden über einen komplexen Vorgang zahlreiche Entzündungsmediatoren und auch Pankreasenzyme aktiviert, was zu einer – unterschiedlich stark ausgeprägten - Autodigestion der Pankreas und systemischer Entzündung führt. Die häufigsten Ursachen sind Gallensteine (40%), Alkoholabusus (30%)1,2 sowie Medikamente, chirurgische Komplikationen und Hypertriglyceridämie. In etwa 80% der Fälle verläuft die Erkrankung mild. Ungefähr 20% der Patient:innen entwickeln eine moderat schwere oder schwere akute Pankreatitis, charakterisiert durch ein passageres oder über mehr als 48 Stunden bestehendes Organversagen. Das Assessment des Schweregrades der Erkrankung (mit Hilfe der revidierten Atlanta-3 oder der Determinanten-basierten Klassifikation4) und des Ernährungsstatus5 bei Spitaleintritt und während des Krankheitsverlaufs ermöglichen eine möglichst effektive Therapie.6
Auswirkungen auf den Ernährungszustand
Zahlreiche proinflammatorische Mediatoren erhöhen den Grundumsatz. Je nach Schweregrad und Dauer der Erkrankung ist der Grundumsatz unterschiedlich stark erhöht. Das Hauptziel der Ernährungstherapie ist die Verhinderung und/oder Behandlung einer Mangelernährung durch eine bedarfsgerechte Zufuhr von Makro- und Mikronährstoffen. Glukose ist ein wichtiger Energielieferant und eine zu geringe Zufuhr erhöht den Proteinabbau durch die Glukoneogenese. Erhöhte Plasmaspiegel von Triglyceriden treten häufig auf, kehren jedoch meist nach akuten Phasen auf die Normwerte zurück. Flüssigkeitsungleichgewichte treten oft auf, können jedoch durch frühzeitige Flüssigkeitsresuscitation verhindert werden.6
Nährstoffbedarf von Patient:innen mit akuter Pankreatitis. Anpassungen nötig für mangelernährte Patient:innen, körperliche Aktivität und Alter des Patient:innen. Als Gewicht gilt das Adjusted Body Weight (ADJ) ab BMI 28, ansonsten Körpergewicht vor Spitaleintritt.
KG = Körpergewicht; d = Tag
Bitte füllen Sie das Gewicht aus
Ziele der Ernährungstherapie
- Aufrechterhaltung/Verbesserung des Ernährungszustands und der Körperfunktionen
- Vermeidung von Mangelernährung/Nährstoffdefiziten
- Korrektur von Elektrolystörungen
- Frühzeitiger Beginn der oralen/enteralen Ernährung, um das Risiko lokaler infektiöser Komplikationen zu reduzieren (Erhaltung der «gut barrier function»)
Der Energie- und Proteinbedarf sollte, wenn immer möglich, durch orale Ernährung gedeckt werden, unabhängig von der Lipasekonzentrationen im Serum bei Patient:innen mit milder akuter Pankreatitis. Falls auch mit Anreicherung, Zwischenmahlzeiten oder Trinknahrungen weniger als 75% des Bedarfs gedeckt werden, sollte spätestens nach 5 Tagen auf ergänzende enterale Ernährung eskaliert werden. Eine komplementäre parenterale Ernährung ist indiziert, wenn weniger als 75% des Bedarfes durch orale und/oder enterale Ernährung gedeckt werden.
Orale Ernährung
Um die "gut barrier function" aufrechtzuerhalten und somit das Risiko lokaler infektiöser Komplikationen zu reduzieren, sollte, so bald toleriert, eine orale/enterale Ernährung begonnen werden6. Bei milder akuter Pankreatitis kann fettarme, weiche Nahrung bei der Wiedereinführung von oraler Kost dazu beitragen, eine Hyperlipidämie zu behandeln oder nicht weiter zu fördern, die Verdaulichkeit zu verbessern und Abdominalschmerzen zu reduzieren6. Der Energiebedarf ist erhöht und eine bedarfsdeckende Ernährung kann die Glukoneogenese aus körpereigenen Proteinen reduzieren und somit den Muskelabbau verhindern.
Orale Nahrung darf auch nach einer minimal invasiven Nekrektomie innerhalb von 24 Stunden wieder verabreicht werden, ausser es besteht eine Kontraindikation (z.B. Magenentleerungsstörung, hämodynamische Instabilität, Sepsis).
Praktische Hinweise, falls indiziert:
- Fettarme Ernährung: Nur falls indiziert und Pankreasenzymsubstitution nicht ausreichend.
- Anreicherung der oralen Ernährung mit Energie (Zucker, Eiweiss).
Enterale Ernährung
Falls eine orale Ernährung nicht möglich ist (z.B. bei hyperlipidämischer akuter Pankreatitis), sollte innerhalb von 24 bis 72 Stunden eine enterale Ernährung eingeleitet werden. Zahlreiche klinische Studien und Meta-Analysen deuten darauf hin, dass die enterale Ernährung gut verträglich und sicher in der Anwendung ist. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass die enterale Ernährung im Vergleich zur parenteralen Ernährung Komplikationen, Multiorganversagen und Mortalität signifikant reduziert6.
Hochmolekulare Standardnährlösungen sind in der Regel ausreichend. Patient:innen mit schwerer akuter Pankreatitis und auftretender Malabsorption können von einer niedermolekulare Diät profitieren6.
Enterale Ernährung kann über eine nasogastrale Sonde verabreicht werden. Liegt eine Kontraindikation (z.B. Verdauungsintoleranz) vor, wird eine nasojejunale Sonde verwendet.
Als allgemeine Regel gilt, dass bei einer schweren akuten Pankreatitis und
- Intraabdominaler Druck >15 mmHg: Die nasojejunale Sonde ist einer nasogastralen Sonde vorzuziehen. Empfohlen wird, mit einer Rate von 20 mL/h zu starten und je nach Toleranz zu erhöhen. Wenn der intraabdominale Druck weiter ansteigt, sollte eine Unterbrechung der enteralen Ernährung erwogen werden6.
- Intraabdominaler Druck >20 mmHg: Absetzen der enteralen Ernährung und Beginn der parenteralen Ernährung6.
Parenterale Ernährung
Parenterale Ernährung ist indiziert, wenn die enterale Ernährung nicht toleriert wird, nicht bedarfsdeckend oder kontraindiziert (z.B. Darmverschluss, abdominelles Kompartmentsyndrom, prolongierter paralytischer Ileus, Mesenterialischämie, intraabdomineller Druck >20 mmHg) ist6. Wann immer möglich, sollte eine geringe Menge (z.B. 10 mL/h) enteral verabreicht werden.
Bei schwerer, akuter Pankreatitis und totaler parenteraler Ernährung wird eine parenterale L-Glutamin Verabreichung von 0.2 g/kg Körpergewicht pro Tag empfohlen6.
Monitoring
- Bei schwerer Pankreatitis und enteraler Ernährung sollten der intraabdominale Druck und der klinische Zustand engmaschig überprüft werden6.
- Die Schweregradeinteilung ist regelmässig an Hand des klinischen Verlaufs zu überprüfen, wozu verschiedene Einzellaborwerte oder Scores zur Verfügung stehen6.
Besonderes
- Das Mangelernährungsrisiko bei schwerer akuter Pankreatitis sollte immer als «hoch» eingestuft werden6.
- Angemessener Flüssigkeitsersatz, Korrektur von Elektrolyt-Ungleichgewichten, Analgesie und Einleitung einer oralen/enteralen Ernährung, sobald diese toleriert wird6.
- Vorbeugung/Behandlung von Störungen der Darmbarriere und damit assoziierter bakterieller Translokation und Infektion oder Nekrose8.
Medikamente/Supplemente
- L-Glutamin: 0.2 g/kg Körpergewicht pro Tag bei schwerer akuter Pankreatitis in Kombination mit totaler parenteraler Ernährung6.
- Pankreasenzyme: Bei exokrinen Pankreasinsuffizienz indiziert6. Oft empfiehlt es sich, den oralen Kostaufbau mit einer Enzymsubstitution zu begleiten.
- Probiotika und Immunonutrition: Nicht empfohlen, aufgrund unzureichender wissenschaftlichen Evidenz6.
Klassifizierung des Schweregrades
Da nur Patienten mit moderater oder schwerer Pankreatitis einen Ernährungssupport benötigen, ist es auch aus diesem Grund wichtig, den Schweregrad zu bestimmen. Es gibt mehrere Klassifikationen. Heute sollte entweder die revidierte Atlanta Klassifikation (mild, moderat, schwer) oder die Determinanten-basierte Klassifikation (mild, moderat, schwer, kritisch) zur Anwendung kommen9.
Revidierte Atlanta Kriterien3
Klassifizierung | Organversagen | Lokale oder systemische Komplikationen | |
Mild | Nein | Nein | |
Moderat | Transient (<48 h) | und/oder | Vorhanden |
Schwer | Persistent (>48 h) einzelnes oder multiples |
Typischerweise vorhanden |
Determinanten-basierte Klassifizierung4
Klassifizierung | (Extra)pankreatische Nekrose | Organversagen | |
Mild | Nein | und | Nein |
Moderat | Steril | und/oder | Transient (<48 h) |
Schwer | Infiziert | oder | Persistent (>48 h) |
Kritisch | Infiziert | und | Persistent (>48 h) |
- Forsmark, C.E., S.S. Vege, and C.M. Wilcox, Acute Pancreatitis. N Engl J Med, 2016. 375(20): p. 1972-1981.
- Forsmark, C.E. and J. Baillie, AGA Institute technical review on acute pancreatitis. Gastroenterology, 2007. 132(5): p. 2022-44.
- Banks, P.A., et al., Classification of acute pancreatitis--2012: revision of the Atlanta classification and definitions by international consensus. Gut, 2013. 62(1): p. 102-11.
- Dellinger, E.P., et al., Determinant-based classification of acute pancreatitis severity: an international multidisciplinary consultation. Ann Surg, 2012. 256(6): p. 875-80.
- Kondrup, J., et al., Nutritional risk screening (NRS 2002): a new method based on an analysis of controlled clinical trials. Clin Nutr, 2003. 22(3): p. 321-36.
- Arvanitakis, M., et al., ESPEN guideline on clinical nutrition in acute and chronic pancreatitis. Clin Nutr, 2020. 39(3): p. 612-631.
- Sobotka, L., Basics in clinical nutrition Fifth Edition. 2019.
- Wu, L.M., et al., Meta-analysis of gut barrier dysfunction in patients with acute pancreatitis. Br J Surg, 2014. 101(13): p. 1644-56.
- Beyer, G., et al., S3-Leitlinie Pankreatitis – Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) – September 2021 – AWMF Registernummer 021-003. Z Gastroenterol, 2022. 60(3): p. 419-521.
Autorenschaft:
Valentina Huwiler, PhD, Ernährungswissenschafterlin, Inselspital Bern
Zeno Stanga, MD, Ernährungsmediziner, Inselspital Bern