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Dumping Syndrom

Das Dumping Syndrom ist eine häufige Komplikation nach Magen-, Ösophagus- sowie bariatrischer Chirurgie. Das Dumping Syndrom tritt bei etwa 20% der Patienten nach einer Vagotomie mit Pyloroplastik, bis zu 30% bei Patient:innen nach einem Roux- en- Y-Gastric-Bypass (RYGB) oder etwa 15% nach einer Sleeve-Gastrektomie und bis zu 50% bei Patient:innen nach einer Ösophagektomie auf. Diese Eingriffe verändern die Anatomie des Magens und deren Innervation, was dazu führt, dass eine grosse Menge unverdauter Nahrung zu schnell in den Dünndarm gelangen kann. Das Dumping Syndrom umfasst Symptome, welche gemeinsam oder getrennt auftreten können und eine Einteilung in Früh und Spät Dumping Syndrom ermöglichen. Diese sind oft invalidisierend, emotional belastend, die Lebensqualität einschränkend und können zu einem Gewichtsverlust führen.

Typischerweise treten die Symptome des Früh Dumping Syndroms innerhalb der ersten Stunde nach einer Mahlzeit auf und umfassen gastrointestinale (Bauchschmerzen, Blähungen, Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall) und vasomotorische Symptome (Blässe, Herzklopfen, Schwitzen, Tachykardie, Hypotonie, Müdigkeit, Wunsch sich hinzulegen und selten Synkope). Die zugrundeliegenden Mechanismen sind osmotische Effekte, autonome neuronale Reaktionen und die Freisetzung von Peptidhormonen wie vasoaktive Substanzen (wie Neurotensin und vasoaktives intestinales Peptid), Inkretine (wie Glucagon-ähnliches Peptid 1 [GLP1]), YY gastrisches hemmendes Polypeptid und Glukose Modulatoren (wie Insulin und Glucagon).

Die Symptome des Spät Dumping Syndroms treten in der Regel zwischen einer und drei Stunden nach einer Mahlzeit auf und sind in erster Linie Ausdruck einer Hypoglykämie (Nadir <2.8-3.0 mmol/L), die hauptsächlich aus einer inkretingesteuerten hyperinsulinämischen Reaktion nach der Kohlenhydrataufnahme resultiert. Hypoglykämie-bedingte Symptome sind auf eine Neuroglykopenie (erkennbar an Müdigkeit, Schwäche, Konzentrationsstörung, Heisshunger und Bewusstseinstrübung) und auf eine vagale sowie sympathische Aktivierung (erkennbar an Schwitzen, Herzklopfen, Zittern und Reizbarkeit) zurückzuführen.

Beim Dumping Syndrom besteht kein spezieller Bedarf an Makro- oder Mikronährstoffen. Die Einschränkung der Kohlenhydrate wird im Abschnitt «Praktische Hinweise für die Ernährungsmodifikation» detailliert besprochen.

Ziele der Ernährungstherapie

  • Linderung der postprandialen Beschwerden
  • Steigerung der Energie und Proteinzufuhr
  • Aufrechterhaltung/Verbesserung Ernährungszustand und Körperfunktion
  • Vermeidung Mangelernährung/Nährstoffdefiziten

Um mangelernährte Patient:innen frühzeitig zu erkennen, sollte ein Nutritional Risk Screening mindestens zwei Mal im Jahr durchgeführt werden.

Der Energie- und Proteinbedarf sollte, wenn immer möglich, durch orale Ernährung gedeckt werden. Falls auch mit Anreicherung, Zwischenmahlzeiten oder Trinknahrungen weniger als 75% des Bedarfs gedeckt werden, sollte spätestens nach 5 Tagen auf ergänzende enterale Ernährung eskaliert werden. Eine komplementäre parenterale Ernährung ist indiziert, wenn weniger als 75% des Bedarfes durch orale und/oder enterale Ernährung gedeckt werden.

Orale Ernährung

Als erste Massnahme sollte ein konservatives Management des Dumping Syndroms angestrebt werden. Sehr wichtig ist die Anpassung der Ernährung und die Begleitung durch den/die Ernähr-ungsberater:in.

Praktische Hinweise für die Ernährungsmodifikation (erste Massnahmen)

  • Mind. 6 Mal über den Tag verteilt essen
  • Allgemein langsam essen und gut kauen
  • Sehr salzige Snacks (Chips, Salznüsse, Pommes frites, usw.) und zuckerreiche Speisen (Sorbet, gezuckerte Getränke, Honig, Caramel, usw.) reduzieren
  • Keine rein kohlenhydrathaltigen Mahlzeiten, sondern jeweils mit anderen (idealerweise allen) Makronährstoffen (Protein, Fett, Nahrungsfasern) kombinieren
  • Kohlenhydrate, Quantität: ≤30 g KH/Mahlzeit (Anpassung je nach Glukoseverlauf)
  • Kohlenhydrate, Qualität: hoher Anteil an Nahrungsfasern (Nährwertkennzeichnung: Verhältnis totale KH/Fasern ≤5:1), Instruktion Resistente Stärke (Anteil resistenter Stärke erhöhen mittels 12-stündiger Abkühlung erhitzter stärkehaltiger Lebensmittel), Nahrungsmittel mit tiefem glykämischem Index, prozessierte Kohlenhydrate (Haushaltszucker und Weissmehle) minimieren
  • Falls Dessert, Einnahme 90 min nach Hauptmahlzeit (HMZ), idealerweise protein-/fettlastig (falls Süssen erwünscht: wenig Fruktose, Erythrit oder nichtkalorische Süssstoffe verwenden)
  • Protein/Aminosäuren, ausprobieren: arginin-/ glutamin-reiche Lebensmittel stimulieren Glukagon (auch als Supplementation, z.B. 2.5 g Arginin)
  • Bei nächtlichen Hypoglykämien (Substratdefizit im Rahmen Malnutrition): Ggf. ergänzend Glycosade® oder Maizena® einnehmen (Start mit 15–20g)
  • Evtl. ergänzend Supplementation löslicher Nahrungsfasern: Guar (Digesan®, Optifibre®), Pektin: bremsen KH-Absorption und verringern Ausschüttung insulinotroper Faktoren; z.B. 5−15 g vor/mit Mahlzeit einnehmen
  • Getränke ca. 20 Min. vor oder nach dem Essen, jedoch nicht zu den Mahlzeiten einnehmen
  • Die Einnahme von Alkohol und Koffein soll stark reduziert werden
  • Evtl. nach dem Essen für ca. 15-30 Min. liegen oder das Essen im Liegen einnehmen

Enterale Ernährung

Bei Hochrisiko für Dumping Syndrom sollte die enterale Ernährung (gastral oder jejunal) kontinuierlich über eine enterale Ernährungspumpe erfolgen. Bolussondierungen oder zu hohe Infusionsraten können dumpingartige Symptome deutlich verstärken. Im Verlauf und bei guter Verträglichkeit kann die kontinuierliche Sondenverabreichung auf eine intermittierende langsame Sondierung grösserer Mengen über Nacht, mit maximal tolerierter Infusionsgeschwindigkeit, umgestellt werden.

Parenterale Ernährung

Mit einer komplementären oder totalen parenteralen Ernährung können schwerwiegende Dumping Syndrom Beschwerden deutlich minimiert und bei einer totalen parenteralen Ernährung gänzlich beseitigt werden.

Diagnostik

Ein Verdacht auf ein Dumping-Syndrom besteht aufgrund dem gleichzeitigen Auftreten mehrerer suggestiver Symptome (siehe Einleitung), v.a. bei Patient:innen nach einer Magen- oder Speiseröhrenoperation.

Wichtig ist nach Trigger-Nahrungsmitteln, z.B. salzigen Snacks und zuckerreichen Speisen wie gezuckerte Joghurts, Süssigkeiten oder Süssgetränken, zu fragen.

Zur Sicherung der Diagnose kann ein Provokationstest durchgeführt werden, der auf der oralen Einnahme von 50 Gramm Glukose beruht. Es wird gemessen, wie sich dies auf diverse Körperfunktionen auswirkt. Ein Dumping-Syndrom liegt vor, wenn einer der folgenden Punkte vorliegt:

  • Herzfrequenz nach der Glukose-Einnahme um mehr als zehn Schläge pro Minute zunimmt
  • Hämatokrit-Wert um mehr als drei Prozent absinkt
  • Wasserstoffausscheidung in der Atemluft zunimmt (Hinweis auf frühes Dumping-Syndrom; Sensitivität 100%)
  • Nach anfänglicher Hyperglykämie der Blutzuckerspiegel stark absinkt (Hypoglykämie) oder die typischen Hypoglykämie-Symptome auftreten (Hinweis auf spätes Dumping-Syndrom).

Screening

  • 10 Tage CGM (kontinuierliche Glukosemessung) verblinden und gleichzeitig Ess-, Symptom- und Aktivitätsprotokoll schreiben
  • Für höhere Sensorgenauigkeit kapilläre Sensorkalibration morgens nüchtern mindestens alle 2-3 d bei stabiler Euglykämie
  • CGM Beurteilung:
    • Min 7d mit Daten, typisches Verhalten während Aufzeichnung (Essgewohnheiten etc.)
    • % Sensor-Glc. 3–3.9 mmol/L, % Sensor-Glc. >10.0 mmol/L, Anzahl Hypoglykämien (<3.0 mmol/L für ≥15min), Nadir-Glc., Peak-Glc., Glc.-Variabilität (CV), Verteilung, Korrelation Hypoglykämien mit Nahrungsaufnahme, Symptomatik und Aktivität
    • Auto- vs. exogene Korrektur der Hypoglykämien

Bestätigung

  • Mixed Meal Test für postbariatrische Hypoglykämien
  • Beurteilung:
    • Postprandiale Hypoglyämie (Plasmaglc. <3.0 mmol/L), symptomatisch (autonom, neuroglykopen, andere) vs. asymptomatisch
    • Inadäquate Insulinsuppression (Insulin >5.0 mU/L bei Plasmaglc. <3.0 mmol/L)
    • Inadäquate Gegenregulation (Glucagon <10.0 pmol/L bei Plasmaglc. <3.0 mmol/L)
    • Rebound-Effekt nach Hypoglykämie-Korrektur
    • Frühdumping-Komponente (Herzfrequenzanstieg >10 bpm nach 30 Min vs. baseline)

Monitoring

Korrektur postprandiale Hypoglykämie (unter CGM Erfahrung sammeln), cave: Empfehlungen für Korrekturen bei Menschen mit Diabetes (15-Regel) führen zu Rebound-Hypoglykämien:

  • 5 g Glukose (ca. 2 Traubenzucker, je nach Produkt)
  • Ev. Zusätzlich Proteinriegel (10 g Eiweiss, max. 5 g KH) oder Nüsse

Medikamente

Medikamente

Dosis

Effekt bei

Propranolol (Inderal®) 10 mg, bis 4x/d Früh Dumping Syndrom
Verapamil (Isoptin®) 120 - 240 mg, bis 4x/d Früh Dumping Syndrom, v.a. bei vasomotorischen Symptomen
Acarbose (Glucobay®) 50 - 100 mg, bis 3x/d Spät Dumping Syndrom
Octreotid (Somatostatin®)

25 - 50 mg, bis 3x/d
15 - 30 Min. vor den Mahl­zei­ten. Übergang auf San­dostatin LARÒ
(10-) 20 mg i.m. 1x/Monat

Früh und Spät Dumping Syndrom, v.a. bei vasomotorischen Symptomen

Therapie

  • Erste Massnahme: Ernährungsmodifikation (siehe 1.3)
  • Zweite Massnahme Pharmakotherapie (off-label)
    • 1. Wahl: Acarbose 50–100 mg vor jeder KH-haltigen Mahlzeit 1–1–1 (auch situativ bei KH-lastigen Mahlzeiten)
      • Evtl. auch Wirkung auf Frühdumping
      • Häufige GIT-Nebenwirkungen wie Flatulenz
      • KoGu und Bezug aus Deutschland nötig
    • 2. Wahl: Octreotid 25–50 µg s.c. vor Mahlzeiten, falls gut toleriert und gutes glykämisches ansprechen ggf. Octreotid LAD (10–) 20 mg 1x/ Monat i.m. oder Low-dose Pasireotid (150 µg)
      • Auch bei Frühdumping einsetzbar
      • Häufige GIT-NW wie Steatorrhö, Cholelithiasis
      • CAVE: unspezifische Wirkung, supprimiert auch Glukago
    • Vorhandene Evidenz aber (noch) nicht erhältlich
      • Dasiglucagon (stabiles Glukagon-Analogon): 80 mcg s.c. (Fix-Pen Dose) unmittelbar nach Peak (bei starkem Abfall), eher Rescue-Medikation als tägliche Therapie
      • Exendin-9-39 (GLP1-Antagonist): 0.025 mg/kg s.c. vor Mahlzeiten
    • Limitierte Evidenz
      • Diazoxid 100–150 mg 1–1–1 (direkt Insulin-inhibierend), häufige UAW: Oedeme, Nausea, Hypotonie, Kopfschmerz (gute Wirkung bei im MMTT nachgewiesenem hohen Insulinexzess)
      • Verapamil 120 mg (inhibiert GLUT1-medierte Insulinfreisetzung)
      • Möglicherweise indirekter Effekt via reduzierter Einnahme von «Trigger»-Lebensmitteln: GLP 1-Analoga (Liraglutid, Semaglutid), bei Mahlzeitentest Glukose-Nadir allerdings tiefer (glukagonostatischer Effekt); keine Wirkung auf Magenentleerung bei bariatrisch operierten Patienten!
      • SGLT-2-Inhibitoren (insbesondere Canagliflozin 300 mg/d, da auch Wirkung auf SGLT1 intestinal)
  • Dritte Massnahme: Falls die konservativen Massnahmen zu keiner Besserung der Beschwerden führen sollten, können chirurgische Korrekureingriffe evaluiert werden (chirurgisch bei RYGB zurückhaltend)
    • Notfallmassnahme bei schweren Hypoglykämien: Gastrostomie (↓Inkretine, ↓Insulin)
    • Bisher keine Evidenz (objektivierte Reduktion von Hypoglykämien): Wiederherstellung der evtl. fehlenden Restriktion, am ehesten indirekter Effekt durch reduzierte Mahlzeiteneinnahme (transient)
    • Laparoskopische Pouch-Revision (Verkleinerung proximaler Magenpouch)
    • Endoskopisch: Apollo Endosurgery (Einengung der gastrojejunalen Anastomose)
    • RYGB–Rückverlegung
    • Distale Pankreatektomie (geringe Evidenz, da Nesidioblastose in der Ätiologie der PHB äusserst selten bzw. eher separate Erkrankung)

Besonderes

CGM therapeutisch

  • Verständnis bzgl. Einfluss Nahrungsmittelauswahl/körperliche Aktivität auf BZ/Symptomatik fördern
  • Hypoglykämie-Korrektur optimieren (insbesondere, wenn asymptomatisch)
  • Bei Risikoexposition (z.B. Autofahren), Schwangerschaft, usw.
  • Für höhere Sensorgenauigkeit kapilläre Sensorkalibration morgens nüchtern mindestens alle 2–3 d bei stabiler Euglykämie
  • Kapilläre Kontrollen bei Sensorglc. <3.9 mmol/L nötig (Ungenauigkeit im unteren Bereich)
  • KoGu nötig
  1. Scarpellini E, Arts J, Karamanolis G, et al. International consensus on the diagnosis and management of dumping syndrome. Nat Rev Endocrinol 2020;16(8):448-466. doi: 10.1038/s41574-020-0357-5.
  2. van Beek AP, Emous M, Laville M, Tack J. Dumping syndrome after esophageal, gastric or bariatric surgery: pathophysiology, diagnosis, and management. Obes Rev 2017;18(1):68-85. doi: 10.1111/obr.12467.
  3. Suhl E, Anderson-Haynes SE, Mulla C, Patti ME. Medical nutrition therapy for postbariatric hypoglycemia: practical insights. Surg Obes Relat Dis 2017:13;888-896. doi: 10.1016/j.soard.2017.01.025.

Autorenschaft:

Zeno Stanga, MD, Ernährungsmedizin, Inselspital Bern

Information NutriGo

Anwendungsorientierte praktische Empfehlungen für die Ernährungstherapie in verschiedenen klinischen Situationen basierend auf aktuellen Richtlinien

Die Behandlung einer Mangelernährung ist ein zentraler Bestandteil in der intial- und fortführenden Therapie von Spitalpatientinnen und -patienten, um die Körperfunktion und Lebensqualität zu erhalten/verbessern und das Komplikationsrisiko bis zur Mortalität zu reduzieren. Die Therapie sollte der zugrundeliegenden Krankheit angepasst werden. NutriGo fasst die Behandlungsstrategien für verschiedene klinische Situationen zusammen und gibt praktische Hinweise zur Umsetzung.

Die Empfehlungen basieren auf den anerkannten aktuellen Richtlinien der jeweiligen klinischen Situation. Durch Eingabe des Körpergewichtes der Patientinnen und Patienten kann der Mikro- und Makronährstoffbedarf anhand einer einfachen Multiplikation berechnet werden, falls der Bedarf in den entsprechenden Richtlinien präzisiert ist. Zusätzliche Anpassungen sind erforderlich für Patientinnen und Patienten mit einem erhöhten BMI (>28 kg/m2), Aszites, Untergewicht, erhöhtem Alter und gesteigerter/reduzierter körperlicher Aktivität.

Abkürzungsverzeichnis

BMI  Body Mass Index